Fußball und Fangesang

Und überall wird es schallen: FC Union unser Verein oder Du wirst niemals untergehen oder Wir bleiben treu bis in den Tod:Die Sprache von Fangesängen im Stadion ist intensiv. Hier wird nicht nur ein Verein, ein Team oder eine Tradition besungen, indem Fans in ihren Gesängen Liebe, Leidenschaft und enge Beziehung zum Fußball bzw. zu ihrem Verein zum Ausdruck bringen. Doch es geht wohl um mehr. Die Gesänge des Vereinsfußballs in den Stadien sind zwar alle individuell und auf den jeweiligen Verein umgedichtet bzw. zugeschnitten, aber es lassen sich gleichzeitig gemeinsame und vergleichbare Linien nachzeichnen, die in den Fangesängen zu erkennen sind. Denn in den Gesängen wird über die Liebe zum eigenen Club hinaus das Verhältnis zur Welt, zum Lauf der Geschichte und zur Aufgabe des Einzelnen in der Welt besungen und ausgelotet. Der Blick auf die Fangesänge sagt uns mehr über das Verhältnis des Menschen zur Welt als vielleicht auf den ersten Blick angenommen.

An den Gesängen lassen sich interessante Dimensionen der Fankultur ablesen. Auf drei Einzelaspekte will ich in der Folge eingehen. Dabei sollen auch Anfragen formuliert werden, weswegen es nur schwer möglich ist, dass das Liedgut aus dem Vereinsfußball auf Nationalmannschaften übertragen wird.

Portrait Dr. Probst

Über den Autor

Dr. Hans-Ulrich Probst, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Praktische Theologie der Ev.-Theologischen Fakultät Tübingen. Seine Dissertation ist unter dem Titel „Fußball als Religion? Eine lebensweltanalytische Ethnographie“ (transcript: Bielefeld 2022) erschienen.

 

Überall wird es schallen. Die Hoffnung auf den Klang des eigenen Liedgutes über den eigenen Platz hinausgehend, ist verbunden mit dem Blick in die weite Welt. Die Unterstützung für den eigenen Club, wie hier im Gesang formuliert, soll eben nicht nur im eigenen Stadion, im Raum des Partikularen, sondern in der Weite, in der Ferne, in der ganzen Welt zu hören sein. Ja, hier wird die Hoffnung auf die universale Unterstützung für den eigenen Club gegenständlich. Denn hier wird nicht nur der Wunsch auf den sportlichen Erfolg der eigenen Mannschaft formuliert. Nein, es ist der Wunsch nach Anerkennung und aktiver Unterstützung des eigenen Teams durch andere Fans, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen anderen Club unterstützen. Die Mehrstimmigkeiten, Differenzen und das Heterogene, die unsere Welt und auch die Fußballkultur ausmachen, werden hier für einen Moment ausgeblendet. National gefärbte Gesänge in diesem Duktus? Das wäre wohl nur schwer erträglich. Doch es ist wohl die gezielte Überschreitung, von der Fans in den universalisierenden Gesängen träumen, um beim Blick auf das Spielfeld schnell wieder geerdet zu werden.

Du wirst niemals untergehen. Das eigene Team bzw. der unterstützte Verein ist nicht einfach ein lebloses Objekt. Wer sein Gegenüber mit „Du“ anspricht, rechnet mit Aktivität und mit Handlung. Dem Verein werden hier personale Attribute beigemessen. Die Rede vom Du in den Fangesängen bearbeitet damit Zufälligkeiten, die den Sport ausmachen. Wir haben vielleicht eine Ahnung davon, aber niemand weiß, in welche Richtung sich ein Spiel entwickelt; oder wie sich das Geschick des unterstützten Vereins entfaltet. Dieser Unsicherheit, in der Menschen wohl nicht nur im Fußball, sondern in der Welt grundsätzlich gegenüberstehen, wird der Zahn gezogen. Denn wenn das Team oder der Verein, kollektiv als „Du“ wie eine Person handelt, so hat es das Heft des Handelns doch in der Hand. Und auch in diesem Ausschnitt eines Fangesangs zeigen sich universale Dimensionen: War es im ersten Beispiel der grenzüberschreitende Raum, wird hier die grenzüberschreitende Zeit besungen. Das, was den Menschen (Zeit und Raum) begrenzt, wird hier entgrenzt. Der Wunsch nach Ewigkeit bzw. ewigem Leben in einer zerbrechlichen Welt, wie er stark religiös konnotiert ist, wird so im Fußball artikuliert.

Wir bleiben treu bis in den Tod. Die Gemeinschaft der Fans, die hier singt, verspricht ihrem Verein treue Gefolgschaft. Diese Treue endet nicht bei Niederlage, Abstieg oder Verlust von herausragenden Spielern. Fans gehen, so der Anspruch durch Dick und Dünn. Doch auch hier können die (implizit) religiösen Spuren erkannt werden: Wer einmal wirklich Fan eines Teams wurde, kann diese Beziehung nicht einfach auflösen oder wechseln. Lebensumspannende Zugehörigkeit, Gefolgschaft, ja Opferbereitschaft bis in den Tod: Das erinnert an eine eng verstandene religiöse Identität, die in der Geschichte nur zu gern und auf verheerende Weise auch von Nationalstaaten aufgegriffen wurde. Doch es ist sinnvoll, den Blick wieder auf die Fans zu richten: Die Selbstvergewisserung, die hier besungen wird, dass sich das Verhältnis zum Team und auch zur gesamten Fangemeinschaft nicht auflösen möge, ist wohl in den allermeisten Fällen eben der Ausdruck von Liebe und tiefer Begeisterung für die eigene Mannschaft. Auch das hat das Potential, über das Fragmentierte des Menschen in der Welt, hinauszuweisen.

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