Hochadel in der 75-jährigen Bundesrepublik?!

Diese Zeilen entstehen wenige Tage nach dem Abschied vom „Kaiser“. Geschrieben werden sie von einem Menschen, der bei 62 Lebensjahren auf davon rund 55 zurückblickt, in denen Sport eine zentrale Rolle spielt. – Und (wie bei so vielen) nicht zuletzt der Fußball-Sport; obwohl ich ein völlig gestörtes Verhältnis zu Bällen habe, also keine Ahnung von Aktiv-Kicken.

Damit bin ich aber nicht allein. Es ist höchst bemerkenswert, manchmal kaum zu glauben, welche Faszination das Fußballspiel auslöst, wo er zum Gesprächsthema wird auch unter Fußball-Nieten wie mir, wie er Millionen von Deutschen zu Bundestrainern macht, wie er Straßen leerfegen, schier bis zum Ausflippen Euphorie hervorrufen, andererseits geradezu Trauer verursachen kann …
Rational erklärlich ist das nicht. Aber so überaus menschlich!
Auch wenn uns das immer wieder ausgetrieben werden soll – kommunistisch etwa oder von vom Gerechtigkeitswahn Befallenen: Menschen sind nicht gleich, wollen „wettkämpfen“, wollen sich und anderen beweisen, was sie draufhaben, ja, dass sie bei irgendwas besser sind als andere. Das nicht zuletzt macht Sport aus und insbesondere den Fußball-Sport, weil er von Anfang an relativ simple Regeln hat, weil er ein Spiel bzw. Sport der Straße war und (im Rahmen verkehrlicher Verhältnisse) immer noch ist, weil er Massenphänomen wurde, deshalb medien- und markt- und politikbedeutend. Die „Henne-und-Ei-Frage“ scheint da auf: Ist Fußball überall, weil er so viele interessiert? Oder interessieren sich so viele, weil er überall publik (gemacht) wird?

Portrait von Andreas Felchle

Über den Autor

Felchle ist WLSB Präsident

Letztlich spielt das keine Rolle. Weil Fußball einfach eine superschöne Sache ist – aktiv  gespielt für Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts, passiv für Abermillionen von Leuten, die Spaß haben am Zuschauen und Mitfiebern;  weil er Menschen unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichsten Bildungsstandes zusammenbringt, weil Fußball wahrscheinlich leichter integriert und inkludiert als jedes sozialpolitische Programm.

Da kann auch eine (hoffentlich für alle Zeit!) durch und durch demokratisch-republikanische Gesellschaft „Hochadel“ akzeptieren, also dem „König Fußball“ huldigen oder eine in der Tat bewundernswerte Persönlichkeit wie Franz Beckenbauer zum „Kaiser“ ausrufen.

Manchmal allerdings geht mir dieser Fußball-Hype zu weit:
Wenn sich traditionsreiche Fußballstadien der Marketing-Millionen wegen alle paar Jahre in „Arenen“ neuen Namens verwandeln; wenn wegen „Fußball-Großereignissen“ (oder soll man sagen: „Hoch-Messen“?!) Nachbar-Vereine solcher „Arenen“ mit Billigung der öffentlichen Hand Werbung ihrer Sponsoren aus dem Straßenbild verschwinden lassen müssen, weil sie den Verträgen zwischen FIFA oder UEFA und deren Geschäftspartnern widerspricht; wenn andere Sport- oder Kulturereignisse gecancelt  oder eingekürzt werden müssen; wenn „aus Sicherheitsgründen“ öffentliche Hände Hunderttausende und Millionen von Euro Steuermittel aufwenden, während Fußballverbände und -vereine und -spieler Millionen verdienen.
Besonders schmerzt es mich, wenn aus dem symbolischen „König“ Fußball ein Abgott wird. Ganz offen: Eine Gesellschaft, die sich in erheblichen Teilen von unserem Glauben verabschiedet, zugleich aber in den „Arenen“ dieser Republik sektenähnliche Events feiert – mein Ding ist das nicht. Erst recht nicht, wenn der „Abgott Fußball“ nicht Verständigung fördert, sondern Hass, Hetze, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt auslöst.

Ich weiß, dass das meine Sportfreunde in den Fußballvereinen, im wfv und DFB ebenso wenig gutheißen. Aber wir Menschen in unserer Schwäche sind leider allzu leicht verführbar. – Dabei geht doch der Tanz um das goldene Kalb am Ende immer schief.

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