„In den Farben getrennt, in der Sache vereint!“
Fanfreundschaften im Fußball - die Quadratur des Kreises?
Ein Text von Pastoralreferent Dr. Thorsten Kapperer
Als ich angefragt wurde, einen Beitrag über Fan-Freundschaften im Fußball zu schreiben, dachte ich mir sofort: Über Fan-Feindschaften zu schreiben, fiele mir auf den ersten Blick wesentlich leichter. Denken Sie nur an folgende Vereine, deren Fangruppierungen eine teils jahrzehnte andauernde, tiefsitzende Rivalität prägt: Schalke und Dortmund, Stuttgart und Karlsruhe, Bayern und 1860 München, St. Pauli und der Hamburger SV, Mönchengladbach und Köln, Nürnberg und Fürth und so weiter. Leider viel zu oft enden Spiele dieser Teams sogar gewaltsam. Um Rivalitäten unter Fans zu sehen, muss man jedoch nicht erst im Profi-Fußball der oberen Ligen suchen. Wenn Sie am Sonntag-Mittag in der Nähe eines Dorf-Sportplatzes vorbeigehen (und dies muss aufgrund der Lautstärke oft gar nicht so nah am Sportplatz sein) oder gar selbst Zuschauer eines Amateur-Spieles sind, wissen Sie wie sehr zwei Dörfer, die meist nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen, sich - und da drücke ich mich jetzt sehr zurückhaltend aus - nicht mögen. Gerade im dörflichen Bereich werden diese Abneigungen oft schon seit vielen Jahren von beiden Seiten gepflegt: „Die aus dem Nachbarort dachten schon früher, sie wären was Besseres. Die sind und bleiben einfach arrogant!“
Und ich soll über Fan-Freundschaften schreiben?
Fangen wir daher lieber erstmal grundsätzlich an. Vom Wesen des Fußballspiels aus betrachtet lässt sich die Rivalität unter Fangruppen durchaus schnell erklären. Ziel jeder Fangruppierung ist es, die eigene Mannschaft möglichst lautstark und kreativ mittels Fangesängen, Fahnen etc. zu unterstützen, im Fachjargon ausgedrückt: zu „supporten“. Und wer die eigene Mannschaft supportet, kann selbstverständlich nicht für die andere sein. Was für die anderen gut ist (zum Beispiel ein erzieltes Tor) ist für die eigene Mannschaft unmittelbar schlecht. Wir wollen gewinnen. Die sollen verlieren.
Wie soll da eine Freundschaft entstehen?
All dem zum Trotz: es gibt sie, die Fan-Freundschaften. Und zwar gar nicht mal so selten - auch wenn in der medialen Öffentlichkeit meiner Wahrnehmung nach mehr über die negativen Aspekte der Fan-Feindschaften (z.B. über Ausschreitungen) berichtet wird. Immer wieder ergibt es sich oder ergab es sich, teils sogar vor vielen Jahren, dass die Fanlager zweier Fußball-Mannschaften irgendwie zueinander gefunden und eine Fan-Freundschaft entwickelt haben.
Als Beispiel sei hier die Fanfreundschaft der Ultra-Gruppe „Commando Cannstatt“ (VfB Stuttgart) mit dem italienischen Drittligisten FC Cesena genannt. Als im Mai 2023 die Nachrichten aus Italien von den schweren Unwettern die Runde machten, wollten die VfB-Ultras gleich helfen. Sie sammelten Geldspenden und konnten letztlich 18.800 € an die Kommune Cesena übergeben. Auf ihrer Homepage schreiben die Ultras dazu: „Mithilfe der Spendengelder konnten wir der Bevölkerung in Cesena und der Romagna in einer dramatischen Lage unter die Arme greifen und im Rahmen unserer Möglichkeiten aus der Ferne unterstützen.“[1]
Neben den Fanfreundschaften lässt sich eine weitere Verbindung der Fanszenen in den Stadien der oberen Ligen Woche für Woche live erleben, die mich als regelmäßigem Stadiongänger ein ums andere Mal erstaunt. Allen voran die Ultras, die als Gruppe bei keinem (!) Spiel fehlen, sind sich im Kampf gegen die ständig zunehmende Kommerzialisierung des Profi-Fußballs über die Vereinsgrenzen hinweg oft einig. Getreu dem Motto „In den Farben getrennt, in der Sache vereint!“ wehren sich die Ultras zahlreicher Profivereine immer wieder gegen den rasant steigenden Einfluss des Geldes auf den Profifußball. Sie plädieren zum Beispiel für weniger Anstoßzeiten der Spiele oder gegen den vor nicht allzu langer Zeit eingeführten VAR (Video-Assistant-Referee), den Videobeweis. Dies führt dann in der Praxis an einem Bundesliga-Spieltag zu folgender Situation: in der einen Minute provozieren sich die beiden Fanlager noch im normalen Spielverlauf. Die gegenseitigen Schmährufe werden aber durch den Eingriff des VAR abrupt unterbrochen (der beispielsweise eine Elfmeter-Entscheidung des Schiedsrichters kontrolliert). Sogleich stimmt das eine Fanlager einen Schmähgesang gegen den VAR (bzw. genauer den Deutschen Fußball Bund als Verantwortlichem für den VAR) an, der von dem gegnerischen Gästeblock in der Regel prompt erwidert wird. Man kann nun zu dem VAR stehen wie man möchte. Und es darf auch gefragt werden, ob die Ausdrucksweise der Schmähgesänge immer angemessen ist. Dies kann hier nicht diskutiert werden.
Was dennoch bleibt: über das Stadion hinweg verbinden sich beide Fanlager für einen kurzen Moment, vereint in der Sache. Vereint im Kampf gegen die Kommerzialisierung konzentrieren sich beide Fanszenen in diesem Punkt auf das, was sie als Fußballfans vereint. Nachdem der Elfmeter ausgeführt wurde (oder auch nicht) schlägt die Stimmung dann aber auch schnell wieder in die übliche Gegnerschaft um.
Diese Basis-Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema „Versöhnung“. Wie eben geschildert kann auch der Fußball seinen Beitrag dazu leisten. Von den Fanfreundschaften kann man lernen, dass es auch im oft so überhitzten Profifußball und bei aller üblichen Rivalität noch echte Freundschaften gibt. Schwierige Rahmenbedingungen (wie beim auf Erfolg und Profit getrimmten Profi-Fußball) müssen uns demnach nicht davon abhalten, Freundschaften zu suchen und zu pflegen - und damit Versöhnung konkret zu leben.
Die Ultras mit einem ihrer Stichworte „In den Farben getrennt, in der Sache vereint!“ können uns ermutigen, das Gemeinsame, das Verbindende, das Versöhnende nicht aus dem Blick zu verlieren. Auch wenn sich die Fanlager ansonsten feindlich gesinnt gegenüberstehen, besinnen sie sich immer wieder auf das, was sie verbindet. Diese verbindende Kraft ist in dem Moment stärker als die Rivalität. Ich finde, ein tolles Bild für Versöhnung - auch in unserem Leben.
[1] Vgl. Wikipedia-Artikel „Fanfreundschaft“. Download: 21. Juni 2023, 22.47 Uhr. Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Fanfreundschaft.
[1] Vgl. www.cc97.de. Download: 30. Juni 2023, 20.30 Uhr.
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