„Ich bin begeistert!“ Der Glaube, dass Fußball Religion ist

Ein Text von Peter Noss

Das Religiöse des Fußballs wie auch anderer Ballsportarten liegt in seinen unendlich wiederholten Spielarten, die die Ordnungen des Lebens infrage stellen und durcheinanderwirbeln – und in neuer Weise wiederherstellen. Bereits das runde Spielgerät trägt dies in sich. Darin spiegelt sich die Ritualwelt des Gottesdienstes: auch dort wird im Angesicht des noch nicht wiederhergestellten Reiches Gottes immer nur die Vorläufigkeit des Heils und der Ordnung zelebriert.

So ist beim Torjubel auf dem Fußballfeld das Kollektiv wirklich – und auf den Rängen der Fans wird es wiederholt. Es sind Akte der Verschmelzung. Fußball als kollektives Ereignis ermöglicht die Selbstauflösung des Ichs („Geboren um für Schalke zu sterben...“ – „BVB, der Sinn des Lebens“ – „Der eine liebt sein Mädchen und der andere liebt den Sport, wir schwören auf die Eintracht auch mit unserem Ehrenwort“) und erlaubt die Befriedigung des Wunsches nach Ganzheit in Reaktion auf die Anonymität in der modernen Welt: es ist geradezu antimodern, verspricht Identität in Zeiten von Orientierungslosigkeit inmitten der möglichen Flut von Krisen und Information. Und immer wieder geht es auf den Rängen unter den Fans über Themen von Moral und Ästhetik, über Erotik und Sterben, über Gerechtigkeit und Abschied.

Spielzüge, Augenblicke, zufällige Ereignisse, kurze Begegnungen und Gefühlsregungen bestimmen das jeweils einzigartige Geschehen auf und neben dem Platz. Das Identifikationsgeschehen ist komplex. Ein Ur-Grund im wahrsten Sinne ist der Bolzplatz, die Straße der Initiation, die jeder durchläuft: Ohne die Berührung mit dem heiligen runden Gegenstand Ball sind die Ereignisse auf dem Spielfeld nicht nachvollziehbar. Beim Spiel in Kindheit und Jugend wird die Identifikation mit dem bewunderten Star konkret durch das Trikot und durch FIFA24, durch die Bewegung, die Mentalität, die Inkorporation und den Haarschnitt.

Religiöse Phänomene im Fußball auf Rasen und Rängen lassen sich beschreiben als erfahrbare Religiosität und geformte Religion. Beide Aspekte finden sich in den Fußball(fan)-Kulturen. Die Stadien sind die Kathedralen, die Pilgerorte unserer Zeit. Prozessionszüge bewegen sich an den Spieltagen auf die Stadien zu, die eingeübten Abläufe des Stadionbesuches sind wie die Rituale des Gottesdienstes. Lieder und Texte sind oft auf kirchliche Vorlagen bezogen, auf Hymnen, Bekenntnisse, Gebete. Die Bewegungen und Choreographien der Ultras stimmen mit dem Wechsel von Sitzen und Stehen in einem Gottesdienst überein – übrigens auch im jüdischen oder muslimischen. In der Vermittlung eines gültigen Transzendenzangebotes liegt dann allerdings auch die Grenze der Möglichkeiten des Fußballs als kulturelles und soziales Angebot.

Jesus ist für meine Schuld am Kreuz gestorben, er ist auferstanden. Eine Botschaft, die mit meinem Leben zu tun hat und mir zeigt, wie sehr Gott mich liebt.

Felix Uduokhai, FC Augsburg

Ethisch-soziale Aspekte der Fankultur sind religiös bedeutsam. Ein Fußballspiel funktioniert durch Regeln. Auch auf dem Bolzplatz finden sich die Regelwächter aus der Spielerschar wie von selbst. Im offiziellen Spiel sind die verabredeten Kodizes einzuhalten und werden von Schiedsrichter*Innen überwacht, Fehlverhalten wird sanktioniert. Gültig sind Kataloge der Ehre, auch für die Zuschauer: im Gedenken an verstorbene Legenden und Heilige des Fußballs wie zuletzt Uwe Seeler oder Franz Beckenbauer, aber auch für den Präsidenten und ehemaligen Ultra von Hertha BSC, Kay Bernstein. Bei der Vermittlung von christlichen Werten kann auf analoge Prozesse im Bereich des Fußballs verwiesen werden. Die „Goldene Regel“  - alles, was ihr wollt, das euch die Anderen tun, das tut ihnen – gilt prinzipiell auch auf dem Rasen.

Fußball ist ein Rollenspiel, an dem die Akteure auf dem Feld ebenso beteiligt sind wie die Zuschauer auf den Rängen. Drei Aspekte sind dabei wichtig:

  1. Die Spieler bewegen sich auf eine kollektive Art, so dass die Zuschauenden vertraute Bewegungsmuster identifizieren. Das Publikum erwartet Vertrautes und projeziert eigene Tugenden wie Opferbereitschaft, Kampf, Abwehr von Niederlagen auf die Spieler. Es entsteht eine Gemeinschaftsmotorik, die dann regionale, nationale und internationale Typen schafft. Die Spieler und ihre Avatare agieren stellvertretend, Gesellschaft wird durch elementare Körpertechniken gebildet – in Computerspielen inzwischen vielfach vermehrt und erweitert.
  2. Durch Nachbildungen werden Erzählgemeinschaften erschaffen. Die subjektiven Erzählungen werden durch Medien weitergetragen. Zeiten und Idolgestalten stehen nebeneinander, wenn außerordentliche Geschichte eine Identifikationsgemeinde bilden. Mythen werden durch Medien auf Ewigkeit gestellt.
  3. Mediale Gemeinschaftsbildung findet mit hohen emotionalen Beteiligungen vor Fernsehapparaten und Computern statt. Glauben und Gemeinden entstehen durch Rituale. Der Kern des Religiösen wird in der Idealvorstellung von dem bewahrt, wie die Gemeinschaft beschaffen ist. Auf die Idole wird ein Verlangen übertragen, aus ihnen werden Heilige, von denen Zuwendung und Heilung erwartet wird. Katechismen entstehen und Ultra-Fangruppen.

Der Fußball mit all seinen Facetten hat religiösen Charakter. Dabei überwiegen das Gute, die Gemeinschaft, das Miteinander. Das Böse abzuwehren, das sich in Form von Gewalt, von überzogenem Kommerz und Partikular-Interessen versucht Raum zu schaffen, ist die Aufgabe des Kollektivs auf und neben den Spielfeld.

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